Am 7. Oktober 1944, vor genau 80 Jahren, wurde Kleve großflächig zerstört. Insgesamt 335 britische Bomber warfen 1.729 Tonnen Sprengbomben und 4,5 Tonnen Brandbomben über der Stadt ab und legten damit große Teile Kleves in Schutt und Asche. Hunderte Kleverinnen und Klever ließen an diesem Tag ihr Leben. Zum 80. Jahrestag dieses dunklen Moments der Stadtgeschichte fand ein Friedens- und Gedenkkonzert der Städtischen Singgemeinde Kleve e.V. und der Chorgemeinde St. Christophorus Emmerich in der Klever Stiftskirche statt, nachdem tags zuvor bereits ein entsprechendes Konzert in Emmerich stattgefunden hat. Frau Bundestagspräsidentin Bärbel Bas unterstützte die Konzerte als Schirmfrau und war persönlich beim Konzert in der Klever Stiftskirche zu Gast.
In ihrem Grußwort betonte sie, dass die Erinnerung an Leid und Zerstörung uns als Mahnung zum Frieden und als Aufruf zur europäischen Verständigung dient. "Es ist ein starkes Zeichen, dass auch Chormitglieder aus den Niederlanden an den Friedens- und Gedenkkonzerten mitwirken. Aus Kriegsgegnern sind Freundinnen und Freunde geworden. Eine ukrainische Sängerin im Chor verleiht dem Gedenken eine bedrückende Aktualität. Noch immer leiden Menschen unter Krieg und Gewaltherrschaft - auch in Europa. Deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, dass Deutschland die Ukraine mit aller Entschlossenheit unterstützt. Für einen Frieden in Freiheit."
Bereits vor dem Konzert hatte sich die Bundestagspräsidentin im Rahmen eines Empfangs im Klever Kolpinghaus in das Goldene Buch der Stadt Kleve eingetragen. Die entsprechende Seite im Goldenen Buch wurde mit den Wappen der Städte Emmerich und Kleve sowie der Bundesflagge gestaltet. Gemeinsam mit Gästen aus der Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft hieß Bürgermeister Wolfgang Gebing sie in Kleve willkommen und dankte ihr für die Teilnahme am Friedens- und Gedenkkonzert. Auch der Städtischen Singgemeinde Kleve e.V. dankte Bürgermeister Gebing für die unermüdliche Arbeit im Rahmen der Vorbereitung des Konzerts.
Nachfolgend kann die Rede, die Bürgermeister Wolfgang Gebing vor dem Konzert in der Stiftskirche hielt, im Volltext nachgelesen werden:
"Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin Bas, liebe Städtische Singgemeinde, liebe Chorgemeinschaft St. Christophorus Emmerich, meine sehr verehrten Damen und Herren,
im Namen der Stadt Kleve und gleichzeitig auch im Namen von Propst Mecking und der Kirchengemeinde St. Mariä Himmelfahrt Kleve begrüße ich Sie herzlich zum Friedens- und Gedenkkonzert der Städtischen Singgemeinde Kleve in Kooperation mit der Chorgemeinschaft St. Christophorus Emmerich anlässlich des 80. Jahrestages der Bombardierung der Städte Kleve und Emmerich am 7. Oktober 1944. In guter Tradition, wie man mittlerweile sagen kann, hat die Städtische Singgemeinde Kleve unter der Leitung ihres Dirigenten Stefan Burs, erneut ein klassisches Werk - das Requiem in d-Moll des Komponisten Franz von Suppé – für Chor, Soli und Orchester zum Gedenken an einen Tag in der Geschichte der Stadt Kleve ausgewählt, der sich in das Gedächtnis der Kleverinnen und Klever eingebrannt hat.
Ich freue mich, dass Sie alle heute zu diesem besonderen Gedenkkonzert nach Kleve gekommen sind, allen voran unsere Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, der ich an dieser Stelle herzlich für die Übernahme der Schirmherrschaft für die Gedenk- und Friedenskonzerte danke. Ebenso danke ich der Städtischen Singgemeinde Kleve unter der Leitung von Stefan Burs herzlich für die Organisation dieses Konzertes.
In den ersten Kriegsjahren waren Kleve und der Niederrhein vom Kriegsgeschehen nahezu verschont geblieben. Nachts flogen zwar feindliche Flugzeuggeschwader über den Niederrhein in das Ruhrgebiet, aber wesentlicher Schaden war bis zum September 1944 nicht entstanden. Seit dem 17. September 1944 wurde der Niederrhein und damit auch Kleve durch die Operation „Market Garden“ zum Frontgebiet. Seitdem kam es immer wieder auch zu Bombenangriffen auf Kleve. Ab dem 7. Oktober 1944 sollte dann der Großangriff über Kleve durch die Briten und über Aachen und Düsseldorf durch die Amerikaner beginnen.
Der 7. Oktober 1944 um 13.40 Uhr ist zweifelsohne einer der dunkelsten Momente unserer Stadtgeschichte. Um 13.30 Uhr heulten die Sirenen und tausende Menschen suchten in den Kellern und Bunkern der Stadt Zuflucht vor den Bomben der Alliierten. In einer knappen halben Stunde wurden von 335 britischen Bombern 1.728 t Sprengbomben und 4,5 t Brandbomben über Kleve abgeworfen. Es war der menschenverachtende Zynismus, der in die Katastrophe führte. Historische Fotos zeugen heute vom Ausmaß der Verwüstung in Kleve, am Niederrhein, in ganz Europa und der Welt. Allein in Kleve fanden über 500 Menschen den Tod und die Altstadt wurde restlos zerstört. Einen Eindruck der Geschehnisse werden wir im Laufe des Konzertes durch eine Lesung aus dem Tagebuch der Familie van Ackeren durch den Enkelsohn Barend van Ackeren erhalten. Sein Vater Werner wird als aktiver Sänger das Konzert mitgestalten.
Wenn wir heute an die Geschichte des Bombenkrieges in unserem Land und ins unserer Stadt erinnern, dann erinnern wir nicht nur an das Leid der Menschen in den deutschen Städten sondern auch an das Leid, das Deutsche anderen Menschen angetan haben. Es waren Deutsche, die diesen grausamen Krieg begonnen haben, es waren Millionen Deutsche, die ihn führten – viele aus Überzeugung. Es waren die Nationalsozialisten, die den Genozid an den Juden in Europa mit brutaler Grausamkeit verfolgten.
Doch mir ist es auch wichtig, nicht nur in der Vergangenheit zu verharren, sondern auch in die Gegenwart und die Zukunft zu blicken. Bis vor zweieinhalb Jahren gehörte ich einer Generation an, die davon überzeugt gewesen ist, dass ein Angriffskrieg in Europa nie wieder Realität werden könnte. Die Friedensordnung in Europa wurde auf brutale Art und Weise auf den Kopf gestellt. Wir durften alle am 24. Februar 2022 – 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erleben, wie ein Diktator in Europa ein Nachbarland überfällt und ein Krieg ausbricht. Von einem Tag auf den anderen ist in unserer Welt insbesondere für die 40 Millionen Menschen in der Ukraine nichts mehr so wie es war. Wie drastisch und dramatisch gerade diese ersten Minuten und Stunden für die Menschen in der Ukraine gewesen sind, werden wir ebenfalls heute im Laufe des Konzertes durch die Lesung eines Tatsachenberichtes der Sängerin Ella erhalten. Liebe Ella, vielen herzlichen Dank, dass Sie uns an Ihren Erlebnissen teilhaben lassen.
Direkt hier vorne sitzen Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule am Forstgarten, die ich an dieser Stelle herzlich begrüßen möchte. Sie haben sich intensiv mit dem Schicksal der Menschen, die nach Ausschwitz deportiert wurden, beschäftigt und im Eingangsbereich der Kirche eine kleine Ausstellung gestaltet. Ich bedanke mich herzlich bei euch und den Lehrerinnen und Lehrern, die euch bei diesem wichtigen Thema der Erinnerung begleitet haben.
Der große deutsche Philosoph Immanuel Kant hat bereits vor über 200 Jahren in seinem Werk „Zum ewigen Frieden“ geschrieben: „Der Frieden ist kein Naturzustand unter Menschen, er muss gestiftet werden.“
Frieden stiften in Kants Sinne bedeutet: Jeder von uns kann und soll ein Friedensstifter / eine Friedensstifterin sein, jeder von uns soll seinen Beitrag dazu leisten, unser Zusammenleben in Deutschland, Europa und der Welt besser und friedlicher zu machen.
Denn so drückte Willy Brandt es einmal aus: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts!“
Heute gedenken wir alle gemeinsam in der Sprache der Musik, die für uns Menschen universell spürbar ist, für die wir keine Landessprache benötigen. Musik ist eine Sprache, durch die es gelingen kann kulturelle Unterschiede zu überwinden und möglicherweise auch Frieden zu schaffen durch Verständigung.
In diesem Sinne bedanke ich mich ganz herzlich bei allen Organisatorinnen und Organisatoren, Sängerinnen und Sängern, Musikerinnen und Musikern, dass Sie mit Ihrer Musik zu diesem wichtigen Gedenktag beitragen.
Ich übergebe nun das Wort an unsere Bundestagspräsidentin und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!"